Mittwoch, 14. Mai 2008

Die Schweiz, ein Feudalstaat?

Historische Vergleiche sind Glücksache. Mörgeli ist vermutlich kein Mengele, Blocher kein Duce. Auch lag Ausschwitz kaum dort, wo Adolf Muschg einmal vermutet hatte („Wenn Ausschwitz in der Schweiz liegt…“


Heute behauptet der Tages-Anzeiger auf seinen Plakaten: „Die Schweiz wird zum Feudalstaat“.

Auch dahinter steckt wohl eher die Verharmlosung eines historischen Begriffs als die Beschreibung einer Wirklichkeit. Fronarbeit zum Beispiel gibt es keine mehr , die Leibeigenschaft ist zum Glück abgeschafft.

Nun war es kein Journalist des Tages-Anzeigers, der die Feudalismus-These erfunden hat. Sie stammt aus einem neuen Buch unter dem Titel „Reichtum ohne Leistung“, das schon durch die Person des Autors seriös sein muss. Es stammt von Hans Kissling, dem ehemaligen Chef des Statistischen Amtes des Kantons Zürich.


Auf dem roten Cover des Buches findet sich eine Krone auf einem weissen Kreuz . Ein König regierte hier meines Wissens nie, aber vielleicht bald ein Fürst.


Der Satz Kisslings, der das ganze Buch zusammenfasst, geht so:


"Die Eidgenossenschaft mutiert zum Fürstentum Schweiz.“


Stimmt das?

Ich bin in dieser Frage Partei. Ich habe vor zwei Jahren ein Buch veröffentlicht, in dem ich einerseits ähnliche Dinge behauptet habe wie Hans Kissling. Nämlich dass die Ungleichheit gross ist, und dass sie wegen der steuerfreien Vererbung sicher nicht kleiner wird. „Erben macht faul“, schrieb ich und forderte, wie Kissling, eine Erbschaftssteuer.

Doch das ist nur ein Nebenschauplatz. Es stehen immer und überall ganz wenige Leute ganz „oben“ – und ganz viele Leute ganz „unten“ . Entscheidend für eine offeneGesellschaft ist die Durchlässigkeit und damit die Frage: ob es genügend Leute von „unten“ nach „oben“ schaffen, und zwar aus eigener Kraft.

Klar ist: Nie werden nie alle unsere Töchter die gleichen Chancen haben wie Blochers Töchter. Aber dass die Armen immer ärmer werden sollen, während die Reichen angeblich immer reicher werden – diesen Kanon hören wir seit vielen Jahren.


Ich zweifle einfach, ob er auch stimmt.

Nun bin ich kein Profi für Statistik wie Hans Kissling einer war. Aber auch ich habe nach Studien und Statistiken gesucht – und ich behaupte, zur gesellschaftlichen Mobilität in der Schweiz ein paar Antworten gefunden zu haben, die ein erstaunliches Bild zeigen, wonach der "Klassenwechsel " nicht nur möglich ist, sondern öfter realisiert wird, als manche faulen Schweizer denken. Und immer öfter finden sich unter den Klassenwechslern türkische und ex-jugoslawischen Immigranten .


Warum ist die Schweiz als Ziel für Einwanderer derart attraktiv und begehrt? – Weil Immigranten für ihre Kinder hier zu Lande Aufstiegeschancen sehen.



Kissling hingegen behauptet, „Bildung“ werde „wieder wie in feudalen Zeiten zu einem exklusiven Gut der Reichen ". Ich halte da fürvoll krass übertrieben. Zur Zeit sind in der Schweiz immerhin 100'000 junge Männer und junge Frauen bildungsmässig „ganz oben“ angekommen. Sie haben weder einen Vater noch eine Mutter, die länger als neun Jahre die Schulbank gedrückt haben – aber diese 100’000 studieren heute trotzdem an einer Schweizer Universität oder einer der beiden ETH’s.

Auch wird die Schweiz, wie vorgestern hier notiert habe, immer mehr zu einem „Volk von Millionären“. Wenn in einem Durchschnittskanton wie dem Aargau bereits jeder vierte verheiratete AHV-Renter mehr als eine Million Franken Vermögen versteuert, so würde ich das nicht als „Feudalismus“ bezeichnen.

Hans Kissling: Reichftum ohne Leistung. Rüegger Verlag.


Markus Schneider: Klassenwechsel. Echtzeit Verlag


Keine Kommentare: