Montag, 4. April 2016

Eine kleine Geschichte der Schweizer Banknoten




Wenn die Nationalbank am 12. April ihre frisch gedruckten Scheine aus dem Hut zaubert, sind drei Dinge absehbar: Erstens die Zahl 50, zweitens die Farbe grün, und drittens wird das Publikum den neuen Noten schlechte Noten erteilen. Zu lange hat man sich an die bisherigen gewöhnt, die ohne jeden Zweifel wunderschön sind, nicht zuletzt im Vergleich zu den Euro-Noten.


Noch schöner als die jetzige Schweizer Serie war die vorherige, an die man sich nostalgisch gern erinnert, etwa an den Sankt Martin auf dem blauen Hunderter. Wobei die vorvorherige, die erste Schweizer Serie als „die schönste“ überhaupt betrachtet werden darf. Das war noch echte Kunst – bei der sich die Regierung persönlich eingemischt hat.


Am 1. September 1908 schreibt Bundesrat Robert Comtesse dem berühmten Ferdinand Hodler einen Brief nach Genf. „Unser Wunsch“, so der Politiker zum Maler, sind Banknoten als „Kunstwerke, die darüber hinaus einen entschieden schweizerischen und nationalen Charakter“ auszeichnen. Das sei „keine leichte Aufgabe, und sie ist umso schwieriger für den Künstler, als er für die Komposition und die figürlichen Motive, Ensemble und Ornamente , die darauf Platz haben müssen, nur über einen sehr beschränkten Raum verfügt.“ Der Bundesrat bittet um zwei Entwürfe, das Honorar dürfe Hodler hernach allein bestimmen.


Die Harmonie ist bald vorüber, Künstler sind bockige Gesellen. „Unzuverlässig“, „langsam“, wird über Hodler in der neu gegründeten Nationalbank geklagt. Der Konflikt bricht aus rund um das Bild vom „Mäher“, das für die Rückseite der Hunderternote vorgesehen ist. Die Die Stellung des Mähers könne nicht stimmen, und die Art, wie er mit der Hand zur Sense greift, erst recht nicht. Darauf einigen sich laut Protokoll vom 29. März 1909 die drei höchsten Amtsträger in der Expertenkommission: Robert Comtesse, der Bundesrat, Johann Hirter, der Präsident des Bankrats der Nationalbank, und Heinrich Kundert, der Präsident des Direktoriums der Nationalbank.


Was ist der Ursprung dieses ungehörigen Verdachts, der grosse Landschaftsmaler habe sich vom Bodenständigen abgehoben? Vermutlich bekamen die Mitglieder der Expertenkommission eine Schwarz-Weiss-Fotografie zu sehen, die bis heute erhalten ist. Sie zeigt den bärtigen Hodler mit seiner Staffelei auf einer Terrasse über den Dächern der Stadt Genf sitzen. Vor ihm posiert ein Mann im weissen Hemd mit seiner Sense. Keine grüne Wiese, keine Berge im Hintergrund, nur graue Mauern und dunkle Kamine.


Rudolf Locher, Inspektor im Dienst der Nationalbank, nimmt seine Berufsbezeichnung beim Wort. Im nächsten Sitzungsprotokoll der Expertenkommission heisst es: „Nachdem Rudolf Locher sich auf seinen letzten Reisen durch mehrere Kantone die Art der Sensenhaltung genau angesehen hat, kann er nun erklären, 'dass die Sense nirgends so gehalten wird, wie dies auf der Zeichnung des Herrn Hodler der Fall ist'“. Immerhin ein Experte deckt den Künstler: Bankrat Theodor Reinhart, Teilhaber des Winterthurer Handelshauses Volkart, privat ein bedeutender Kunstsammler, bezeugt, „dass sein Knecht, wie mehrere Fotografien belegen, die Sense genau so hält wie Hodlers Mäher.“


Der sture Hodler gibt zum Schluss nur bei zwei andern Details nach: Das „Käppli“, das er seinem Mäher ursprünglich verpasst hat, lässt er weg. Auch dieses wurde beanstandet, weil es „von Kostümkennern als für einen Mäher nicht statthaft erkannt“ wurde. Ebenso ersetzt Hodler, wie von ihm verlangt,die Sandalen des Mähers durch festes Schuhwerk.


Trotzdem verliert er den zweiten Teil des Auftrags. Hodler darf die Hunderternote mit seinem mysteriösen „Mäher“ und die Fünfzigernote mit seinem unbestrittenen „Holzfäller“ schmücken. Doch die Illustration der beiden höchsten Noten, der Fünfhunderter und Tausender, wird dem Westschweizer Maler Eugène Burnand anvertraut.


Stolz präsentiert Rodolphe de Haller, Vizepräsident des Direktoriums der Nationalbank, Burnands Entwurf für die Rückseite der Fünfhunderternote. „Appenzeller Näherinnen in einem Appenzeller Interieur“, lautet der Titel. „Eine gefällige Szene“, meint der Bankier, die vom Stil an Albert Anker erinnere.


Auf Umwegen erfahren andere Experten der Kommission, dass sich Burnand an Fotos aus seinem Familienalbum gehalten habe, die drei seiner Kusinen beim Nähen zeigen – freilich nicht im Appenzellischen, sondern in Montpellier, Frankreich.





Diesmal schlüpft der Sammler Theodor Reinhart, beim „Mäher“ auf der Seite des Malers, in die Rolle des pingeligen Inspektors. Im Mai 1910 reist er mit Burnand ins Appenzellerland, um „den dortigen Typus zu studieren“.


Solche Anekdoten zeigen: Geld geht ans Herz, damals wie heute. Und bis die Kraft der Kunst die Macht der Gewohnheit gewinnt, braucht es Zeit: Hodlers „Mäher“, einst exakt 100 Franken Wert, wird heute, falls die Note ungefalzt ist, unter Sammlern zum 25-Fachen getauscht.


Erfunden wurden Banknoten aus einem profanen Motiv: Sie sind spottbillig, spottbillig in der Herstellung. Die derzeit kursierende violette Tausendernote, die auf der Vorderseite das ehrfürchtige Portrait des Basler Kunsthistorikers Jacob Burckhardt trägt, wird effizient produziert für 30 Rappen pro Stück. Auf diese Weise verwandelt sich, etwas salopp gesagt, ein Fetzen Papier in einen Wert, der dank Garantie durch die Schweizerische Nationalbank überall als 1'000 CHF anerkannt wird. Damit ist „unser“ Tausender die wertvollste Banknote der Welt.


Eine solch wundersame Vermehrung gelingt auf Schweizer Territorium erstmals 1825. Zu dieser Zeit gibt es noch keinen Bundesstaat und schon gar keine Nationalbank. Herausgegeben wird das neue Papiergeld von der lokalen „Depositen-Cassa der Stadt Bern“. Dahinter steht die Berner Burgergemeinde, die für das nötige Vertrauen sorgt bei den reichen Leuten. Im breiten Volk jedoch werden die ersten Banknoten als das tituliert, was alle Banknoten bis heute sind: „Zettel“. Und die kleine Berner Cassa, die solche Scheine in Umlauf bringt, wird als „Zettelbank“ verspottet.


Der Wert dieser ersten Zettel ist mehr als happig. Die tiefste Berner Note, 500 damaligen Schweizer Franken, entspricht ziemlich genau drei Kilo Silber. Weil kein Mensch mit drei Kilo Silber einen Laib Brot kauft, sind diese Zettel effektiv kein Bargeld, sondern Wertpapiere.


Das Stadtberner Geschäftsmodell macht Schule. Zwölf Jahre später schafft die private „Bank in Zürich“ Zettel unter dem Namen „Trabanten-Thaler“. Die private „Bank in St. Gallen“ folgt mit Noten, die auf „Reichsgulden“ lauten, während „Die Bank in Basel“, ebenfalls in privatem Besitz, „französische Franc“ ausstellt.


So zeigt sich das typisches Bild der Historie: die moderne Schweiz wächst – im Gegensatz zur heutigen EU – wirtschaftlich langsam zusammen. Zuerst werden die Zölle zwischen den Kantonen abgeschafft, Masse und Gewichte vereinheitlicht, und ert szum Schluss folgt die Währungsunion wie das Sahnehäubchen auf den Kaffee.


Als die Bundesverfassung 1848 in Kraft tritt, ändert für die 38 regionalen Zettelbanken gar nichts. Ihre 38 „Zettel“ bleiben in Umlauf für die grossen Summen. Das Kleingeld, bis heute „Münz“ genannt, besteht aus Münzen, die Edles enthalten: echtes Silber, oft gar ein klein wenig Gold. Aber auch diese Münzen werden regional geprägt, und zwar in einer unglaublichen Vielfalt: Aargauer Batzen, Bündner Bluzger, Zürcher Dukaten - rund drei hundert Varianten kursierten in der alten Helvetik, heutige Historiker nennen das einen „Münzenwirrwarr“.


Erst 1850, zwei Jahre nach Gründung des Bundesstaats, geht das Münzmonopol an den Bund. In Art. 1 des neuen Gesetzes wird der Franken exakt definiert: „fünf Gramm Silber, neun Zehntheile (9/10) fein.“


Was nach einem eigenständigen eidgenössischen Beschluss tönt, ist in Wirklichkeit der pure Anschluss ans damalige Europa. Die damalige „Leitwährung“ ist der französische Franc mit fixem Silbergehalt. Die Konsequenz daraus ist ein fixer Wechselkurs: 1 alter Schweizer Franken = 1,5 französische Franc.


Die Produktion und Prägung der neuen Schweizer Einfränkler ist so teuer, dass die Schweiz gar nicht erst beabsichtigt, die gesamte Nachfrage nach Münzen selber zu prägen. Man wählt die nahe liegenden Lösung: im Inland werden ab 1852 auch französische und belgische Münzen akzeptiert. Das ist ja auch kein Problem, weil sie gleich gross sind wie die Schweizer Münzen mit dem genau gleich hohen Silberanteil.


Auf diese Weise geschieht, was in heutiger Zeit kaum vorstellbar ist: Faktisch wird die Schweiz Teil einer Münzunion mit Frankreich, Belgien, Sardinien, Parma, der ehemaligen cisalpinen Republik und dem Königreich Italien. Am 1. August 1866 wird diese lateinische Münzunion vertraglich besiegelt; kurz danach stösst Griechenland dazu. Pikant ist aus heutiger Warte, dass man damals nicht über die Griechen herzieht, sondern über die Schweizer „Münzenparasiten“, die zu geizig sind, genügend eigene Münzen zu prägen.


Schlecht vorbereitet ist der neue Bundesstaat auch auf das Papiergeld. Erst drei Jahrzehnte nach Gründung des Bundesstaats wird nach zweimaliger Volksabstimmung das Banknoten-Monopol dem Bund übertragen. Bloss existiert zu dieser Zeit noch keine zentrale Bank, die den Wert der neuen Noten verbürgen könnte. Als die Nationalbank 1905 ihre Schalter öffnet, muss sie sich notfallmässig behelfen: indem sie die Zettel der 38 „Zettelbanken“ übernimmt und mit einer roten Rosette samt einem Schweizer Kreuz beklebt. Das Design spielt keine Rolle, die „Zettelbanken“ haben das Motiv der ersten Schweizer Briefmarke auf die Zetteln übertragen: Mutter Helvetia, hübsch flankiert mit einem rundlichen Büblein unten rechts.


Als 1911 die ersten und schönsten Banknoten der Nationalbank, geschaffen von Ferdinand Hodler und Eugène Burnand, in Umlauf kommen, dauert es nicht lang, bis die Schweiz in den Strudel des Ersten Weltkriegs gerät. Erstmals wird der Franken als „sicherer Hafen“ entdeckt. Im Inland werden die silberhaltigen Fünfliber gehortet – und vom Ausland begehrt wie Gold. In der Not schafft die Nationalbank grösseres Münz aus billigen Zetteln: Fünfer- Zehner- und Zwanzigernoten! Endlich Bargeld auf Papier, mit dem man eine Sau einkaufen oder seinen Knecht bezahlen kann.


Für solch billige Noten ist auch kein Künstler von Hodler'schem Kaliber gefragt, diesen Job erledigt ein normaler Mitarbeiter mit dem Nachnamen Balzer bei der Druckerei Orell Füssli. Und der wählt für die Vorderseite der Fünfernote ein Medaillon des unverdächtigen Wilhelm Tell.


Präsentiert wird die Fünfernote im August 1914, kurz nach Ausbruch des ersten Weltkriegs. In Umlauf bleibt die billigste Schweizer Banknote so lange wie keine andere: bis 1980. Ältere Leute erinnern sich heute gern an diese Fünfer, obschon Orell Füsslis Mitarbeiter Balzer gewiss kein Künstler war.


Der Firmenname Orell Füssli weist auf die nächste Krux. Technisch ist es nicht trivial, „Zettel“ herzustellen, die sicher sind vor Fälschungen. Und zwar bis heute: um mehr als fünf Jahre musste Orell Füssli die Herausgabe der neuen 50er Noten verschieben, bis sie nun am 12. April präsentiert wird.


Damals, eim Druck der hochwertigen Holder- und Burnand-Werke, ist von Anfang klar: dazu wird die Schweiz nicht fähig sein, fabriziert wird in London. Als sich der Zweite Weltkrieg abzuzeichnen beginnt, wird der ausländische Produktionsstandort zum Problem. Was, wenn die Schweiz von den Lieferungen aus London abgeschnitten wird? Die Nationalbank reagiert sofort, beauftragt den prominenten Maler Hans Erni für eine neue Serie. Erni, bei der Hunderternote unterstützt vom Berner Kollegen Victor Surbek, arbeitet schnell. Umgehend werden die neuen Noten in der Schweiz bei Orell Füssli gedruckt, als Notvorrat gelagert – und im Jahre 1956 eingestampft. Erni, ein bekennender Kommunist, tobt. Einige konservative Nationalräte haben sich gesträubt, ihn zum Schöpfer von Schweizer Banknoten zu ehren.


Von Holder bis Erni – neue Banknoten erzeugen Nebengeräusche. Auch diesmal. Die Jury wird vom besten Kunstkenner der Schweiz, dem inzwischen verstorbenen Jean-Christoph Ammen, geleitet. Man ist sich nicht einig, insbesondere bei den Entwürfen von Manuela Pfrunder. „Einige Jury-Mitglieder“, sagte Ammann an einer Pressekonferenz, „sind der Ansicht, dass die Bilder eine etwas langweilige Auserlesenheit aufweisen und auch insgesamt nichts Neues bieten. Darüber hinaus ist die Anschaulichkeit nicht immer optimal.“


Die Jury kürt den Bieler Grafiker Manuel Krebs, die Nationalbank wählt die Zweitplatzierte Manuela Pfrunder. Stein des Anstosses ist ein feiner, kaum sichtbarerer Totenkopf auf den Tausender, der wertvollsten Banknote der Welt. „Wir wollten zeigen, dass Geld etwas Materielles ist, das man nicht ins Grab mitnimmt“, heisst es im Atelier von Manuel Krebs.


Revolutionär wäre der Totenkopf nicht gewesen. Der frechste Schweizer Banknoten-Grafiker ist der unbekannteste: Pierre Gauchat. Unvergessen sein St. Martin auf der blauen Hunderter. Oder sein „Jungbrunnen“ auf der Rückseite der Fünfhunderter: Mindestens zwei Mal muss Gauchat seinen Entwurf überarbeiten, bis die Frauen züchtig genug erscheinen. Und erst die Rückseite der Tausendernote: Ein frivoler „Totentanz“, in Zirkulation von 1957 bis 1980.